In den Jahren 2007 und 2008, als die Immobilienkrise vor allem in den Staaten große Wellen schlug und unzählige US-Amerikaner durch ausufernde Spekulationen von rücksichts- und gesichtslosen Bankern ihr Haus verloren, sah ein Kalifornier namens Jay Shafer, der schon einige Jahre in einem Airstream Wohnwagen wohnte, eine Lösung für Leute, die am Rande der Obdachlosigkeit standen.
Von der Not zur Tugend.
Er war es, der das allererste Tiny House gebaut hat… eine stark verkleinerte Version der üblichen Mac-Mansions, nur auf Rädern: preiswert zu bauen, mobil (keine Baugenehmigungen oder baurechtliche Abnahmen - ja, auch die gibt es in den Staaten, zwar nicht so einschränkend wie hierzulande, aber immerhin), geringste Unterhaltskosten - auch im Winter.
Und das Beste… das Tiny House war schon bezahlt, wenn es noch nicht mal fertig war. Wenn man es richtig machte.
Zusätzlich baute er eine Philosophie rund um seine Tiny Houses und deren Baupläne, die die Menschen gleichermaßen von unnützen, zukünftigen Ausgaben sowie von unnützem Müll in ihren Köpfen befreien sollte: wenn man sich ein Tiny House gebaut hat, wäre es sinnvoll, wenn man mit nur 300 Sachen einziehen würde. Eine Socke zum Beispiel galt als ein Teil. Eine Zahnbürste, ein Brotmesser oder eine Küchenzeile (ohne Inhalt) als je ein Teil und so weiter.
So wählt man schon während des Auszugs seine Essentials und kategorisiert automatisch in „nötig“, „nice to have“ und „unnötig“.
Und wenn man erstmal drin wohnt, muss, wenn ein neues Teil dazu kommt, ein anderes gehen.
Um ganz ehrlich zu sein… das Tiny House hatte es mir damals nicht wirklich angetan. Wohl aber die Philosophie dahinter!
Das Haus an sich war nur Mittel zum Zweck, ein Vehikel, um mich nebst einem über die Zeit eingeschlichenen Lebensmißstand voraussichtlich wieder auf die richtige Spur bringen zu können. Wohnte ich doch damals als selbstständiger Zahntechniker in einem großen Penthouse, umgeben von Sachen, die eher an die Einrichtung eines sauteuren Möbelhauses erinnerten als an erhebende Dinge, die der Seele schmeicheln. Tief im Inneren war ich unglücklich… nein, so, wie es die Masse als erstrebenswert ansieht, wollte ich nicht mehr leben.
Also baute ich von Mai bis August 2008 mit Bauplänen von Jay Shafer, der im gerade aufkommenden Tiny-House-Movement in den Staaten als Tiny-House-Guru hochstilisiert wurde, ein "Wee-Bee" in meinem Garten in Bielefeld. Vom Umgang mit Holz völlig unbeleckt ging es voran und anfängliches, teilweise handwerkliches Unvermögen mündete schließlich fast schon in einer Obsession! Teilweise war ich länger auf der Baustelle zu finden als im Labor.
Ich wusste es damals noch nicht, aber ich baute mir gerade ein neues Leben!
Und sooo schwer war das ja gar nicht, diese Sache mit dem Holz; es ging alles leicht von der Hand, ohne Schwierigkeiten. Das Universum, so schien es, hat Geist und Hände geführt und irgendwann traute ich mir sogar zu, das Vordach im Eingangsbereich nach meinem Gusto umzuändern. Diese Änderungen flossen kurze Zeit später in einen neuen Bauplan von Jay Shafer ein… in den Tiefen des Internets findet man auch noch einen Artikel über Jay Shafer gemeinsam mit mir als erstem Erbauer des ersten Tiny Houses in Europa.
Der langen Rede kurzer Sinn:
die Jahre in meinem selbstgebauten Tiny House haben mich nicht nur selbst aus der eigenverschuldeten Lebens-Misere geführt, sondern die Augen in Hinsicht auf die Tatsache geöffnet, dass allgemein akzeptierte und eingeschlagene Wege und Werte nicht unbedingt die meinen sind und ich fortan nicht mehr auf die Masse, sondern auf meine ureigene Ratio, meine Intuition und mein Baugefühl höre.
Die Zeit in diesem Haus haben mein Leben komplett auf den Kopf gestellt und sind sogar großer Teil der Ursache dafür, dass ich nicht mehr fremder Leuts Esszimmer, sondern wunderbare Holzhäuser baue, die eher an Skulpturen als an herkömmliche Strukturen erinnern. Weiterhin empfinde ich meinen Geist als Lichtjahre besser strukturiert, da TV und Radio die ersten Dinge waren, die ich als „unnütz“ kategorisiert habe und gehen konnten… der dort in repetierter Form von sich gegebene Unsinn verstopft seit 2008 nicht mehr die dringend benötigte Synapsen.
Wilfried Erdmann selig, mehrmaliger Weltumsegler, sagte einst:
„Contra Torrentem – lateinisch. Ich habe nachgeschlagen. Gegen den Strom schwimmen. Präzis sogar gegen einen wilden Strom. Könnte mein Lebensmotto sein, ist es auch. Mein ganzes Leben interessierte ich mich eher für die Ausnahme, das Gegenteil, den Sonderfall, die andere Seite.“
Das gilt sinngemäß auch für mich, es ist Teil des Kai-seins.
Zur wiederkehrenden Frage, wieso ich denn keine Tiny Houses baue:
ich mag diese geraden, glatten und meist emotionslosen Tiny Houses, wie sie heute angeboten werden, nicht.
Andererseits baue ich ja eigentlich doch Tiny Häuser. Nur in anderer Form als gewohnt. Und ohne Räder.
Wenn man sich dann noch auf die vorgenannte Philosophie einlässt, so könnte es einem in meinen Häusern womöglich genau so ergehen wie einst mir.
Das muss man aber wollen - die Zeit dafür muss reif sein.
Ansonsten sind meine Häuser - anders als die eckigen, im Schnellverfahren konstruierten, in heutiger Zeit leider philosophielos erbauten und ausgelieferten Tiny House - einfach nur schöne Gartenhäuser.